Sind ältere Beschäftigte durch digitale Technologien wirklich überfordert?
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt in rasantem Tempo – von neuen Softwarelösungen bis hin zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) am Arbeitsplatz. Doch während Unternehmen verstärkt auf Automatisierung und digitale Tools setzen, hält sich ein hartnäckiges Vorurteil: Ältere Beschäftigte seien mit diesen Entwicklungen überfordert und könnten nicht mehr Schritt halten. Eine aktuelle Studie der Bergischen Universität Wuppertal räumt nun gründlich mit diesem Bild auf.
Digitalisierung und der demografische Wandel: Herausforderung oder Chance?
Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels in Deutschland wird immer häufiger diskutiert, ältere Beschäftigte länger im Erwerbsleben zu halten. Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung in allen Branchen voran – oft verbunden mit der Sorge, ob ältere Arbeitnehmer dabei mithalten können. Die gängige Meinung: Ältere hätten größere Schwierigkeiten im Umgang mit neuer Technologie, bräuchten länger zur Einarbeitung und seien schneller überfordert.
Doch stimmt das wirklich? Oder handelt es sich hier um ein überholtes Klischee?
Die „lidA“-Studie gibt Aufschluss
Um dieser Frage nachzugehen, hat der Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal im Rahmen der „lidA – leben in der Arbeit“-Studie mehrere Tausend ältere Arbeitnehmer befragt. Die Teilnehmenden der Untersuchung wurden zwischen 1959 und 1965 geboren und stammen aus unterschiedlichen Berufsgruppen – vom Experten über Fachkräfte bis hin zu Helferberufen.
In den Jahren 2011, 2014, 2018 sowie 2022/2023 wurden sie regelmäßig interviewt – unter anderem zu ihrer Erfahrung mit digitaler Technik und den damit verbundenen Arbeitsanforderungen.
Das überraschende Ergebnis: Ältere Beschäftigte fühlen sich mehrheitlich sicher im Umgang mit digitalen Technologien
Die Studie zeigt klar: Die überwiegende Mehrheit der älteren Beschäftigten fühlt sich im Umgang mit digitalen Arbeitsmitteln eher sicher und zufrieden. Wer häufiger digitale Tools nutzt, berichtete sogar von einer besseren psychischen Gesundheit und höheren Arbeitsfähigkeit – verglichen mit Kollegen, die seltener damit arbeiten.
Selbst vier Jahre nach der letzten umfassenden Erhebung blieb dieser Trend stabil. Nur bei einer Minderheit von rund 20 % wurde eine spürbare Zunahme der empfundenen Arbeitsintensivierung durch Digitalisierung festgestellt. Für 80 % der Befragten änderte sich hingegen wenig.
Ein weiterer spannender Befund: Die Ergebnisse waren unabhängig vom Qualifikationsniveau. Auch Hilfskräfte und Fachkräfte profitierten ähnlich wie Experten von der Nutzung digitaler Werkzeuge.
Digitalisierung als Belastung? Nur bei steigender Arbeitsintensität
Doch die Studie deckte auch Schwächen auf: Dort, wo digitale Technologien mit einer spürbaren Arbeitsverdichtung einhergingen – etwa durch höhere Geschwindigkeitserwartungen oder ständige Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten –, empfanden die Befragten die Belastung als deutlich. In solchen Fällen litten Motivation, Arbeitsfähigkeit und psychische Gesundheit.
Vor allem zwei Aspekte wurden als kritisch bewertet:
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Gestiegene Lernanforderungen: Wer sich ständig neue Tools aneignen muss, fühlt sich häufiger gestresst – unabhängig vom Alter.
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Erweiterte Erreichbarkeit: Die „ständige Verfügbarkeit“ per E-Mail oder Messenger außerhalb der regulären Arbeitszeit empfinden viele als Eingriff in die Work-Life-Balance.
Hier sieht die Studie Handlungsbedarf – vor allem im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und Arbeitsgestaltung.
Vorurteil oder Realität? Ein differenziertes Bild
Die Forscher der „lidA“-Studie ziehen ein wichtiges Fazit: Das oft bemühte Vorurteil, ältere Beschäftigte seien per se überfordert von Digitalisierung, ist nicht haltbar. Im Gegenteil – viele der heute über 60-Jährigen sind seit den 1980er- oder 1990er-Jahren im Umgang mit Computern geschult und nutzen digitale Technik seit Jahrzehnten im Arbeitsalltag. In einigen Fällen könnten sie sogar besser vorbereitet sein als Berufseinsteiger, die mit einer komplexeren, weniger überschaubaren Tool-Landschaft konfrontiert werden.
Wichtiger als das Lebensalter sind:
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Die individuelle Erfahrung mit digitalen Technologien,
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die Lernbereitschaft,
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sowie die Gestaltung der digitalen Arbeitsumgebung im Unternehmen.
Fazit: Digitalisierung ist keine Frage des Alters
Die Ergebnisse der „lidA“-Studie räumen auf mit dem Klischee vom technikfernen älteren Arbeitnehmer. Entscheidend ist nicht das Geburtsjahr, sondern wie gut Unternehmen ihre Belegschaft – unabhängig vom Alter – auf den digitalen Wandel vorbereiten.
Empfehlung an Arbeitgeber:
Statt Älteren technologische Fähigkeiten pauschal abzusprechen, sollten Firmen gezielt Weiterbildungen und ergonomische, altersgerechte Arbeitsgestaltung anbieten. So bleibt wertvolles Erfahrungswissen im Unternehmen – zum Nutzen aller Generationen.