Lärm macht krank – langsam, aber dauerhaft. Wer regelmäßig an lauten Arbeitsplätzen arbeitet, riskiert eine dauerhafte Schädigung des Gehörs. Doch Gehörschutz ist nur dann wirksam, wenn er zur Umgebung, zur Aufgabe und zum Menschen passt. Claudia Mattke, Leiterin des Sachgebiets Gehörschutz bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), erklärt im Interview, worauf Unternehmen bei der Auswahl achten sollten – und warum der richtige Tragekomfort entscheidend ist.
Welche Arten von Gehörschutz gibt es?
Gehörschutz ist nicht gleich Gehörschutz. Grundsätzlich unterscheidet man:
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Einwegstöpsel: günstig, praktisch, aber nur einmal verwendbar
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Mehrwegstöpsel: wiederverwendbar und hygienisch reinigbar
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Kapselgehörschutz: schützt das Ohr vollständig von außen
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Otoplastiken: individuell angepasster Gehörschutz mit optimalem Sitz
Diese Varianten gibt es wiederum in aktiven und passiven Ausführungen. Aktive Gehörschützer enthalten elektronische Komponenten, die beispielsweise Sprachsignale verstärken, während gefährlicher Lärm gedämpft wird. Das verbessert die Kommunikation im Arbeitsalltag – insbesondere bei stark schwankenden Lärmpegeln.
Wie wählt man den richtigen Gehörschutz aus?
Laut Mattke sollten Unternehmen nach drei Kriterien vorgehen:
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Schalldämmung:
Der Gehörschutz muss so dämmen, dass am Ohr ein Pegel von 70–80 dB(A) erreicht wird. Eine zu starke Dämmung – sogenannte Überprotektion – ist gefährlich, weil Umgebungsgeräusche und Warnsignale nicht mehr wahrgenommen werden können. -
Arbeitsumgebung:
Bei Tätigkeiten mit Schmutz, Öl oder Chemikalien ist ein Einwegstöpsel ungeeignet – hier ist ein Kapselgehörschutz hygienischer. -
Individuelle Voraussetzungen:
Menschen mit engen Gehörgängen, Allergien oder Hörminderung benötigen speziell angepasste Lösungen wie Otoplastiken.
Warum ist Überprotektion ein Problem?
„Wird zu viel Schall gedämmt, fühlen sich Beschäftigte isoliert – das ist nicht nur demotivierend, sondern auch gefährlich“, so Mattke. Typische Spenderboxen mit Einwegstöpseln bieten oft eine Dämmung von 30–35 dB. In Bereichen mit 85–90 dB(A) Lärmpegel sinkt der Pegel am Ohr damit auf unter 70 dB – zu leise, um Warnrufe oder Maschinen zu hören. Das erhöht das Unfallrisiko.
Wie finden Unternehmen den besten Gehörschutz für ihr Team?
Am besten durch Partizipation. Mattke empfiehlt:
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Zwei bis drei geeignete Modelle in verschiedenen Größen anbieten
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Beschäftigte in die Auswahl einbeziehen
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Modelle im Arbeitsalltag testen lassen
So wird der Gehörschutz nicht nur besser akzeptiert, sondern auch zuverlässiger getragen.
Der beste Gehörschutz nützt nichts, wenn er falsch getragen wird
Deshalb gilt: Training ist Pflicht. Gehörschutz fällt in die höchste Kategorie (III) der PSA-Benutzungsverordnung. Hier sind jährliche Unterweisungen mit praktischen Übungen vorgeschrieben. Unternehmen sollten diese Schulungen interessant und praxisnah gestalten. Unterstützung bieten viele Berufsgenossenschaften mit Videos, Postern oder Online-Tools.
Was können Sicherheitsbeauftragte tun?
Sicherheitsbeauftragte sind wichtige Multiplikatoren:
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Sie klären auf, wie schleichend und irreversibel Lärmschäden entstehen
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Sie sensibilisieren Kolleg*innen, auch im Privatleben auf ihr Gehör zu achten
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Sie verweisen auf Hilfsmittel wie die DGUV-Regel 112-194 oder Kurzinformationen zum Gehörschutz
Und was ist mit modernen, aktiven Kopfhörern aus dem Privatbereich?
Auch wenn viele Menschen privat auf ANC-Kopfhörer schwören – im Betrieb sind sie tabu. Der Grund: Diese Geräte erfüllen meist nicht die Anforderungen an persönliche Schutzausrüstung (PSA), haben kein CE-Kennzeichen, sind nicht nach DIN EN 352 geprüft und bieten keine garantierte Dämmung auf maximal 85 dB(A). Deshalb sollten Unternehmen ausschließlich geprüfte Gehörschutzmittel zulassen.
Fazit: Gehörschutz braucht Maßarbeit
Wer Mitarbeitende vor Lärm schützen will, muss mehr tun, als einfach nur Ohrstöpsel auszulegen. Es braucht:
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eine fundierte Auswahl nach Arbeitsplatzbedingungen
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Einbeziehung der Beschäftigten
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Schulung und praktische Übung
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kontinuierliche Aufklärung
Denn der beste Gehörschutz ist der, der getragen wird – gerne, richtig und regelmäßig.
Weiterführende Infos:
📘 DGUV Regel 112-194 – Benutzung von Gehörschutz
📘 DGUV Information 212-621 – Kurzinformation Gehörschutz