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Wie Teilzeitkrankheit in Schweden funktioniert


Urheber:in:
ASU Arbeitsmedizin



Teilzeit krankgeschrieben – Was Deutschland von Schweden lernen kann

Deutschland steht vor einer Herausforderung: Die Zahl der Krankschreibungen steigt, der Krankenstand ist hoch, und das Thema „Präsentismus“ – also das Arbeiten trotz Krankheit – sorgt für Diskussionen. Inmitten dieser Debatte schlägt der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, einen bemerkenswerten Weg vor: Teilzeit-Krankschreibungen nach schwedischem Vorbild. Dort ist ein solches Modell seit Jahrzehnten etabliert – und durchaus erfolgreich. Was steckt dahinter, und könnte das auch in Deutschland funktionieren?


Was macht Schweden anders?

Bereits seit den 1950er-Jahren können Schwedinnen und Schweden teilzeitkrankgeschrieben werden. Das Modell wurde besonders in den 1990er-Jahren massiv gefördert – in einer Zeit, in der das Land tief in einer Wirtschafts- und Finanzkrise steckte. Mit dem Ziel, Erkrankten die Rückkehr in den Beruf zu erleichtern und Frühverrentungen zu vermeiden, etablierten sich flexible Krankschreibungen als Bestandteil der Sozialpolitik. Das Resultat: weniger vollständige Arbeitsunfähigkeiten, schnellere Wiedereingliederungen und – trotz hoher Belastungen – eine stabilere Verbindung zum Arbeitsleben.


So funktioniert das schwedische Modell

In Schweden bestimmen Ärztinnen und Ärzte nicht nur, ob jemand arbeitsunfähig ist, sondern in welchem Umfang. Dabei werden vier Abstufungen genutzt: 25, 50, 75 oder 100 Prozent Arbeitsunfähigkeit. Grundlage der Beurteilung sind konkrete medizinische Leitlinien sowie Weiterbildungen, die es den Ärzten ermöglichen, individuelle Arbeitsanforderungen und -möglichkeiten realistisch einzuschätzen.

Die schwedische Sozialversicherungsbehörde unterstützt diesen Prozess mit klaren Vorgaben: Für jede Diagnose gibt es empfohlene Zeitfenster und Abstufungen – etwa bei psychischen Erkrankungen oder orthopädischen Beschwerden. Auch der organisatorische Rahmen wurde zuletzt angepasst: Seit 2022 können Arbeitnehmer und Arbeitgeber flexibler entscheiden, wie die verbleibende Arbeitszeit auf die Woche verteilt wird. Gerade bei Schichtberufen oder psychischen Erkrankungen sorgt das für bessere Erholung und individuell angepasste Wiedereinstiege.


Der deutsche Vorstoß – zu früh oder längst überfällig?

Klaus Reinhardt will nun auch in Deutschland eine Debatte anstoßen. Seine Idee: Warum nicht bei leichteren Erkrankungen – etwa Erkältungen – Homeoffice als Form der Teilzeit-Arbeitsfähigkeit nutzen? Die Digitalisierung und flexiblere Arbeitsformen bieten Möglichkeiten, die das bisherige „Ganz-oder-gar-nicht“-Denken in Frage stellen.

Zwar gibt es mit der stufenweisen Wiedereingliederung bereits ein ähnliches Modell für Langzeiterkrankte. Doch für akute, leichtere Erkrankungen existiert bisher keine flexible Zwischenlösung. Reinhardt schlägt vor, dass genau hier ein schwedisch inspiriertes System helfen könnte – mit dem Wohlergehen der Patienten als oberstem Ziel.


Kritik und offene Fragen

Nicht alle finden diese Idee gut. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält Teilzeit-Krankschreibungen für gefährlich: Sie könnten den Druck auf Arbeitnehmer erhöhen, krank zu arbeiten – mit langfristig negativen Folgen. Auch Krankenkassen wie die AOK und Politiker wie Janosch Dahmen (Grüne) oder Andrew Ullmann (FDP) äußern sich zurückhaltend. Zwar sehen auch sie Potenzial, betonen aber die Notwendigkeit klarer medizinischer und rechtlicher Grundlagen sowie eine verlässliche Finanzierung.

Ein Knackpunkt bleibt die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in Prozenten. Während schwedische Ärzte darin geschult und gesetzlich eingebunden sind, sieht man in Deutschland hier noch erhebliche Umsetzungshürden. Der bürokratische Aufwand, die mögliche Fehlbelastung der Ärztinnen und Ärzte – und nicht zuletzt ein grundsätzlich anderes Gesundheitssystem erschweren eine schnelle Übertragung des Modells.


Fazit: Ein Modell mit Potenzial – aber kein Allheilmittel

Teilzeit-Krankschreibungen könnten eine Brücke schlagen zwischen Fürsorge und Flexibilität, zwischen Genesung und Teilhabe. Schweden zeigt, dass es funktioniert – bei klaren Regeln, medizinischer Qualität und gesellschaftlicher Akzeptanz. Deutschland steht noch am Anfang dieser Debatte. Doch angesichts hoher Krankenstände und veränderter Arbeitswelten ist es höchste Zeit, neue Wege zu denken.

Vielleicht ist es nicht die Frage ob, sondern wie sich Deutschland dem schwedischen Vorbild annähern kann.


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